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Psychotherapie, psychologisches Coaching und Beratung

Selbstbewusstsein? Je mehr, desto besser.

Selbstbewusstsein

Ein paar persönliche Worte zu meinem Artikel im großartigen STRIVE Magazine:
Einmal vorweg für alle, die argumentieren „Übertriebenes Selbstbewusstsein ist aber auch unangenehm“: Es gibt kein übertriebenes Selbstbewusstsein. Je mehr ich mir meiner Selbst bewusst bin, umso besser. Es geht in dem Artikel zu diesem Zitat nicht um maßlose Selbstüberschätzung – sondern um ein gutes Selbstbewusstsein. Ein Bewusstsein darüber, wer ich bin, was ich kann, was nicht – um meine Werte, meine Prinzipien, meine Persönlichkeit. Darum, mich gut zu kennen, um Selbstvertrauen zu entwickeln und schließlich ein gutes Selbstwertgefühl in mir zu tragen.

Fast täglich arbeite ich in meiner Praxis mit Frauen, deren Selbstwertgefühl Schrammen hat, die sich ihrer Selbst nicht wirklich bewusst sind, da ihnen beigebracht wurde, dass sie „zu laut“ sind,  oder „zu sensibel“ – dass sie zuviel wollen und schließlich nicht erwarten können, alles im Leben zu haben.
Großartige Frauen, die dadurch ihr Licht dimmen, unter ihren Möglichkeiten bleiben und sich ständig darüber Gedanken machen, ob andere sie mögen oder nicht.
Und ich bin dankbar und finde es wunderbar, mitzuerleben, wie viele dieser Frauen das abschütteln können, ihre hemmenden Glaubenssätze überschreiben und endlich zu der Frau werden, die sie sind. Völlig egal ob laut  oder leise. Denn auch die leisen Frauen haben es mitunter schwer („Hau doch mal auf den Tisch“, „Sei doch nicht so schüchtern“), werden nach meiner Erfahrung als Persönlichkeit aber nicht halb so oft in Frage gestellt und kritisiert wie die lauten.

Ich selbst gehöre zu der Kategorie: Laute Lache, immer etwas schneller und immer mit etwas „Wumms“. „Hummeln im Hintern“, nannte meine Mutter das früher. Als Kind schon lieber Zorro als Prinzessin, lieber auf Bäumen als auf dem Boden, ich wollte nicht mehr Jazzgymnastik machen, ich wollte Fußball spielen. Die Neunziger stand ich fast durchgehend in miefigen Bunkerproberäumen und sang in einer Rockband, an den Instrumenten mein Bruder und meine besten Kumpels.
Als ich mit 20 immer noch in Doc Martens herumlief, prophezeite man mir: Wenn Du älter wirst, ändert sich Dein Stil bestimmt, dann trägst Du auch Pumps und Ballerinas. 🙂 Ja. Ich habe auch Pumps. Aber ich liebe immer noch meine Martens.

In den Anfängen meiner beruflichen Laufbahn sind mir soviele Menschen begegnet, die ein Problem mit starken oder lauten Frauen hatten, sowohl Männer als auch Frauen. Die Männer, weil sie sich bedroht fühlten, die Frauen, weil sie neidisch waren. Verstanden habe ich das nie. Begegnet mir eine Frau, die in den Raum kommt und ganz sie selbst ist, denke ich nicht „wie angeberisch“ sondern „Was ist ihre innere Haltung, wie macht sie das, so zu sein und so zu wirken?“

Und damit wir uns nicht falsch verstehen: Ruhige Persönlichkeiten, die leiser lachen und nicht mit einer Fanfare den Raum betreten, empfinde ich als ebenso inspirierend – aber um die geht es hier nicht. Es geht um die, die Attribute in sich vereinen, die nach patriarchalen Strukturen, Erziehung und Prägung vermeintlich nicht angemessen sind für eine Frau.

Es geht also nicht darum „Alle Frauen sollten laut sein“ – sondern jede sollte so sein dürfen, wie sie ist. Und wenn ich laut bin und viel fühle und viel will – dann möchte ich mir nicht anhören müssen: „Das ist aber etwas übertrieben / lach bitte etwas leiser / zick doch nicht so rum“.

Zwei Erlebnisse, an die ich mich noch gut erinnere:
Szene 1: Ich arbeitete in einem Verlag, in dem man eigentlich nur gut gestellt war, wenn man in den eigenen Reihen nach rechts und links beißen konnte,den Ausschnitt tiefer ziehen, der männlichen Führungsriege am Redaktionstisch lieb nach dem Mund redete – oder mit den richtigen Vorgesetzten ein Glas Wein und Lästereien über das Kollegium nach Feierabend teilte.
Mir wurde abends ausgerichtet, dass ich spontan die komplette Urlaubsvertretung für eine leitende Kollegin übernehmen sollte. Der Chef hätte heute leider keine Zeit mehr, das persönlich mit mir zu besprechen, und er sei ab nächster Woche übrigens selbst im Urlaub.

Am nächsten Morgen bat ich um ein kurzes Gespräch – genervter Blick von ihm – „Was denn?“
Mein Schreibtisch übervoll, Abgabetermine – eine komplette Urlaubsvertretung obendrauf war für mich nicht realistisch. Ich sprach ins Leere, es kam nur Schulterzucken, ich merkte, dass meine diplomatische Kommunikation nichts erreichte. Schließlich sagte ich ganz klar: „Ich kann das alleine so nicht übernehmen. Es muss eine andere Lösung her.“
Gequälter Blick, lautes Aufatmen: „Oh Mann ey, komm doch mal aus dem Zickenboot!“

Szene 2: Eine Verabredung  zum Abendessen mit vier Frauen. Ich habe Probleme, einen Parkplatz zu finden, komme ein paar Minuten später, freue mich sehr, alle zu sehen, stehe noch, ziehe meine Jacke aus und erzähle dabei kurz von meinem Parkplatzglück direkt um die Ecke, lache und gestikuliere wahrscheinlich auch etwas. Was ich deutlich erinnere, ist die Hand der Freundin, die sich auf meinen Unterarm legt und mir mit milder, besänftigender Stimme sagt: „Julia, psssst. Wir können Dich alle hören.“

Früher habe ich mir viele Gedanken über so etwas gemacht. Heute nicht mehr. Es war ein verdammt langer, steiniger Weg, Aha-Momente, und eine Menge Persönlichkeitsentwicklung. Nächstes Jahr werde ich 50. Meine älteste Freundin, die ich seit 35 Jahren kenne, sagte neulich: „Verrückt, dass wir erst über 40 werden mussten, um uns so zu fühlen wie heute, oder?“ Ja. Verrückt.

Heute reflektiere ich nach wie vor mein Verhalten und die Reaktion meines Gegenübers. Aber wenn ich merke, dass jemand einfach ein Problem mit meiner Art hat, dann fühle ich folgenden Satz: „Wenn Du ein Problem mit mir hast, kannst Du es behalten. Ist ja Deins.“

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