„Es ist mir etwas unangenehm“, „Ich komme mir albern vor“, „Keiner aus meinem Freundeskreis weiß, dass ich zur Psychotherapie gehe“, „Ich weiß gar nicht, ob ich mit meinem Problem hier richtig bin, ob es ’schlimm‘ genug ist“. Häufig äußern meine Klienten im Erstgespräch zur Psychologischen Beratung oder Psychotherapie die Sorge, ob Ihr Problem „ausreicht“, um sich beraten zu lassen, sie kämen sich vor, als würden sie jemandem den Platz wegnehmen, der es „dringender braucht“ als sie selbst.
Und immer sitzt dabei ein Mensch vor mir, bei dem der persönliche Leidensdruck so hoch ist, dass er den Weg zu mir gefunden hat. Bei dem es einen Moment gab, in dem er beschlossen hat „Ich schaffe das nicht alleine, ich brauche einen Blick von Außen, ich suche mir Unterstützung.“ Und das ist gut! Denn wir laufen nicht alle immer geradeaus im Leben. Einige von uns stolpern auch mal, wir fallen hin, manchmal bleiben wir kurz liegen und stehen dann wieder auf. Und manchmal fehlt uns die Kraft, der Mut und vor allem die Perspektive, um wieder aufzustehen und weiter zu gehen – vielleicht sogar einen ganz anderen Weg zu beschreiten. Denn die Aussicht darauf ist am Boden liegend schwer zu erkennen.
Darüber zu sprechen, dass man Unterstützung benötigt, fällt uns leicht, wenn es um einen Umzug oder einen neuen Job geht. Wenn wir aber zum Beispiel mit dem Sortieren von schwierigen Situationen nicht mehr klarkommen, oder wenn wir das Gefühl haben, die ToDo-Liste wird immer länger, je mehr wir abarbeiten – und wir uns dabei immer erschöpfter fühlen oder der Liebeskummer so stark ist, dass wir uns im Kreis drehen – dann denken Viele: „Ach, das schaffen andere doch auch, damit muss ich alleine klar kommen.“
Die Zeiten, in denen ein Gang zum Therapeuten oder zum Psychologischen Berater so selbstverständlich ist wie der Termin beim Orthopäden, die sind leider immer noch nicht angebrochen, auch wenn sich die Lage hier schon verbessert hat. Wenn der Rücken Probleme macht, lassen wir uns selbstverständlich helfen, wenn die Seele schmerzt, müssen wir alleine zurecht kommen? Nicht selten warten wir so lange damit, uns Hilfe zu holen, bis es zur Depression oder zum Burn-out kommt. Dass dabei Immer wieder der Begriff „Burn-out“ als „Modekrankheit“ bezeichnet wird oder laut unseres Gesundheitsministers unter den psychisch Kranken „massenhaft Hypochonder“ sein sollen – das sind nicht nur unqualifizierte Äußerungen, solche Statements ziehen die Hemmschwelle auch für Menschen, die noch nicht erkrankt sind und Unterstützung, Beratung und Therapie bräuchten, nur noch höher.
Ich freue mich daher immer, wenn jemand durch meine Praxistür kommt, der den Mut gefunden hat, einen anderen Weg einzuschlagen, der sich über die eigene innere und die gesellschaftliche Hürde hinwegsetzt und die Kraft aufbringt, Unterstützung anzunehmen. Das ist der erste Schritt etwas zu verändern, sein Leben nicht als gegebenes Schicksal zu akzeptieren, sondern es in die Hand zu nehmen und aktiv zu gestalten. Denn das können wir, wir haben eine Wahl!
Glücklicherweise nutzen einige Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, Ihre Reichweite und ihren Einfluss, um denen Mut zu machen, die den Schritt noch nicht wagen – der britische Musiker Sam Smith ist einer, der hier offen über seine Therapie spricht – und dadurch dazu beiträgt, dass Psychologische Beratung oder Psychotherapie ihr Stigma in Zukunft hoffentlich ein für alle Male loswerden.